Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau  
 
 
"Sonnet. Vergänglichkeit der Schönheit" -  Interpretation 

Es wird der bleiche todt mit seiner kalten hand 
Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen/ 
Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; 
Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand/ 
Der augen süsser blitz/ die kräffte deiner hand/ 
Für welchen solches fällt/ die werden zeitlich weichen/ 
Das haar/ das itzund kan des goldes glantz erreichen/ 
Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band. 
Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden/ 
Die werden  theils zu staub / theils nichts und nichtig werden/ 
Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht. 
Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen/ 
Dein hertze kann allein zu aller zeit bestehen/ 
Dieweil es die natur aus diamant gemacht. 
 
 

Dieses Gedicht Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus verdeutlicht eindringlich die Unbeständigkeit dessen, was wir fleischliches Ich nennen, also den Zerfall des menschlichen Körpers. Von der Schönheit der Frau ausgehend – in petrarkistischer Manier folgt Hoffmannswaldau zunächst dem üblichen Schönheitspreis der Geliebten und zählt alle ihre Vorzüge auf – benutzt er diese nur, um sogleich deren Verfall zu visualisieren. 

Hinter der Personifikation des Todes, mit der das Gedicht auf drastische Weise einsetzt, steht die Vorstellung, dass der Tod ein Wesen ist, das die Lebenden in sein Reich holt. Man glaubte, und glaubt manchmal auch heute noch, dass der Tod das Gegenteil des Lebens ist. 

Schon zu Lebzeiten erfährt der Körper eine ständige Wandlung. Das macht uns der schlesiche Dichter zum Beispiel mit den beiden Oxymora „Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand“  klar. Auch das Lippenrot, der Glanz in den Augen und die Kraft der Hand verändern sich. Von der goldenen Haarpracht bleibt nur noch eine gewöhnliche Strähne zurück. Der Körper verändert zwar die Form, wird jedoch nicht zerstört. Der wohlgesetzte Fuß wird lediglich zu Staub werden. Der Körper wird also als Materie nie zerstört, sondern wandelt sich nur ständig. Dies ist auch aus heutiger physikalischer Sicht so richtig. 

Das, was viele Geist nennen, nämlich Gebärden (Gedanken, Sprache, Mimik, Eindrücke und Ausdruck, manche Psychoanalytiker glauben sogar, dies sei die – unsterbliche -  Seele) wird nichts und nichtig werden. Dieser Teil von uns geht schließlich in die Leere ein. 

Vergleichen wir diese Textstelle mit den  Aussagen der christlichen Mystiker. Sie behaupten, dass alles aus dieser Leere komme (die Mystiker nennen es  Gott oder Gottheit) und beim Sterben wieder mit dieser Leere verschmelze. Noch radikaler ist die Sicht des Zen-Buddhismus: Leere ist Form. Form ist Leere. Dies würde bedeuten, dass unsere Gebärden und auch der Körper existent und nicht-existent zugleich sind. Wo ist dann noch der Tod? 

Wenn schließlich alles auf diese Art vergeht, wie es der gebürtige Breslauer beschreibt, dann opfert keiner mehr sein Leben an die Pracht dieser Göttin. Einzig das Herz geht nicht unter, denn es ist aus Diamant gemacht, wie es in den beiden letzten Zeilen des Sonetts, die stets die zentrale Aussage beinhalten, heißt. Das Herz und der Diamant, mit dem es verglichen wird, stehen hier für die unberührbare und zeitlose Ewigkeit. 

Auch viele Indianervölker sagen, das Herz sei das Unbefleckte, Unberührbare. Sie haben das Herz an Stelle einer unsterblichen Seele. 

Sven Richter