Die barocke Lyrik   
 
 
Grundlegendes  

Was ist grundsätzlich anders an der barocken Lyrik als an der anderer Jahrhunderte? 

Im Gegensatz zur Erlebnislyrik, bei der tatsächliche Erlebnisse wiedergegeben werden, zeichnet sich die barocke Lyrik dadurch aus, dass es sich bei den hier dargestellten Inhalten um rein gedankliche Konstrukte handelt. Bereits vorhandene Literaturthemen werden durch eine gekünstelte und teils unterkühlte und gestelzt wirkende Rhetorik variiert  (was dem modernen Leser nicht immer gefällt). Das Formale überwiegt also. Obwohl die Natur, d.h. konkrete Gegenstände, Personen und Vorgänge, zunächst als Ausgangspunkt genommen wird, wird sie sogleich ins Abstrakte gewendet. Warum? Für den barocken Menschen ist das Irdische unwichtig und vergänglich. 

Mit der Verallgemeinerung und Übertragung ins Abstrakte versuchen die Lyriker  den  Erfahrungshorizont des Menschen zu überschreiten. Mit weitausholender Metaphorik werden wichtige Gedanken mit immer übertriebeneren Ausdrücken und Vergleichen auf scharfsinnige, manchmal recht schwülstige Weise ausgearbeitet. 

Die barocken Dichter lieben die Darstellung der Eitelkeit (Nichtigkeit, Vanitas), der Vergänglichkeit und der letzten Dinge, aber auch – meist in mythologische Geschichten gehüllt – die eines sorgenfreien Hirtenlebens mit entsprechenden Schäferstündchen. Lebensfreude (carpe diem – nutze den Tag!) hat durchaus ihren Platz. Die Schönheiten der Geliebten werden in Vergleichen mit den schönsten Göttinnen oder  Schätzen der Natur oft so eindringlich beschworen, dass man doch glaubt, eine wirkliche Frau vor sich zu sehen. 
Manche Dichter bzw. Dichterinnen, z.B. die von uns im Projekt untersuchte Sibylla Schwarz, machen sich sogar über das theoretisch Gestelzte der gängigen Liebesgedichte lustig. 

Auch schätzten die Barockpoeten die insistierende Nennung und dadurch Häufung,  die Antithetik ( gegensätzliche Begriffe, die in Halbversen, ganzen Versen und Strophen einander gegenübergestellt werden und auf eine Pointe hinauslaufen),  Emblematik (spezielle Bildsprache – die hier verwendeten Sinnbilder waren dem damaligen gebildeten Leser bekannt, da ihre Bedeutungen traditionell festgelegt waren  - ein Beispiel ist der Lorbeerbaum im Gedicht von Sibylla Schwarz). 

Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik  

Inwiefern spielt die Lyrik des Barock eine wichtige Rolle in der Entwicklung der deutschen Lyrik? (Ein paar Gedanken nur für die literaturgeschichtlich Interessierten) 
 
Im Zeitalter des Barock folgt die deutschsprachige Lyrik zunächst dem Vorbild der zeitgenössischen lateinischen sowie italienischen, französischen und holländischen Lyrik. Seit Martin Opitz setzt sich auch in Deutschland der Petrarkismus in der Nachfolge des italienischen Dichters Petrarca durch. 

Neu im Barock ist aber, dass man eine eigenständige deutsche Literatur bilden will. 
In dieser Zeit versucht eine ganze Reihe von Poetikern die Fülle der Sprach- und Redeformen, die man in der romanischen Literatur fand, für die eigene Sprache fruchtbar zu machen und damit die deutsche Literatur zu bereichern. 

  Martin Opitz

Martin Opitz (1597-1639) verfasste mit  „Elegantia - Das Buch von der deutschen Poetik“ ( 1624), die erste wichtige deutsche Dichtungslehre. Zierlichkeit und Eleganz der Sprache sollen ein neues Element der deutschen Dichtkunst werden. Opitz lehnt die Verwendung von Dialekten, Vulgarismen und Fremdwörtern ab und empfiehlt stattdessen die Verwendung von deutschen Wortneuschöpfungen. Stilfiguren misst er große Gestaltungskraft bei und unterstützt dadurch den allegorischen, also hinweisenden und belehrenden Charakter der Dichtung. 

Besonders wichtig erscheint Opitz auch der Vers. Er arbeitet den Unterschied zwischen dem antiken, romanischen einerseits und dem deutschen Vers andererseits heraus. Während die romanischen Dichter ihrer Sprache folgend auf die Länge der Silben achten, ist es im  Deutschen die Betonung der Silben, die wichtig ist. Dem Charakter und der Eigenart unserer Sprache gemäß soll von nun an in Jamben und Trochäen, also alternierenden Versfüßen,  gedichtet werden. Die sich daraus ergebende Übereinstimmung von Wort- und Versakzent verlangt eine bewusste Verskunst, die der deutschen Sprache entspricht. 
Als ergiebigste Verszeile betrachtet Opitz den Alexandriner (sechshebiger Jambus,nach der dritten Hebung Zäsur). Seine Definition der einzelnen Formen, z.B.  des Sonetts,  wurde von seiner Zeit an als verbindlich angesehen. 

Opitz bedeutet den Auftakt zur neuen deutschen Literatur: Mit seiner Poetik lieferte er die Grundlage der modernen deutschen Kunstdichtung und trug maßgeblich zur Entwicklung der deutschen Sprache und Kultur bei, die sich vorher eher an den anderen Kulturen orientiert hatte. 
 
Barocke Liebeslyrik  

In unserem Projekt stellen wir drei Liebesgedichte vor.  Auch die barocke Liebeslyrik weist natürlich einige Besonderheiten auf. 

Für gewöhnlich zählen die Dichter die besonderen Attribute der Geliebten (die es vielleicht nie gegeben hat, siehe oben) auf, um dann in moralisierender Absicht deren Vergänglichkeit und damit die der ganzen Welt zu verdeutlichen. Jedes Bild, in diesem Fall das der Geliebten, wird dazu benutzt, einen allgemein gültigen Gedanken vermitteln zu wollen. Aber, keine Regel ohne Ausnahme: In seinem Liebesgedicht „Die er geliebet“ schwärmt Georg Greflinger von insgesamt 13 Geliebten, die sehr wohl den Eindruck erwecken, aus Fleisch und Blut gewesen zu sein... 

Zur Form:  Die barocke Liebeslyrik, die den inneren Zwiespalt zwischen der Vergänglichkeit mit dem übersinnlichen Unendlichen aufzeigt, ist überwiegend in der Sonettform ( 2 Vierzeiler und 2 Dreizeiler) geschrieben worden. Und zwar deshalb, weil das Sonett sich besonders dazu eignet, in spitzfindigen antithetischen Beschreibungen zur prägnanten, belehrenden Pointe am Schluss zu gelangen. 

Christian Hoffmann von Hoffmanswaldau, den wir in unserem Projekt mit seinem „Sonett. Vergänglichkeit der Schönheit.“ vorstellen, steigert das Spiel mit den rhetorischen Formen bis zum Manierismus und zeigt, wie sich alle Themen, nicht zuletzt die  der Erotik und des Schönheitspreises, der Ordnung eines geistreichen Formenspiels fügen. 

Sibylla Schwarz ist eine Revolutionärin: Sie verwendet in ihrem Sonett „Ist Lieb ein Feur“ alle gängigen dichterischen Tricks nur, um sich anschließend von ihnen zu distanzieren. 

Julia Hagen