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Les amis de Guy Chaty

finden hier Texte aus dem Leben und über/für das Leben


Texte von Guy Chaty, Paris, Professeur honoraire des Universités für Mathematik und Informatik. Er veröffentlicht neben seiner wissenschaftlichen Arbeit, die er im "Ruhestand" vielfältig fortsetzt, seit Jahrzehnten literarische Texte, häufig in den kleinen Zeitschriften für Literatur, Theater und andere Kunstgattungen, die in Frankreich nicht selten sind. Diese Texte sind mehrheitlich Gedichte und kurze Prosastücke über Gegenstände, mit denen wir alle es im Hier und Heute täglich zu tun haben, dargebracht mit Einfühlung, Gespür für das Wesentliche und einem eigenen, mitunter auch bizarren Humor. Sie liegen inzwischen in 10 oder 12 Sammlungen vor, die in verschiedenen Verlagen erschienen sind. Guy liest und singt seine Texte auch in Theatern und Cafés, zudem gibt er seit vielen Jahren Einführungskurse in die darstellerische Arbeit.

Übertragung und Kurzkommentare von Werner Rossade, Dr. phil., Kultur- und Politikwissenschaftler in München. Er hat die Sammlung "Anatol und sein Katz" ins Deutsche übertragen (zweisprachige Ausgabe 2004 ).

ELLE

Elle entra    Immense
    je préférais ne pas la regarder dans les yeux
    je fis comme si je ne la voyais pas
            Elle passa sans insister
            Elle sortit

Je ne savais pas ce qu’elle faisait
    pendant le temps où elle était dehors
            je préférais ne pas le savoir,
                j’avais tort

Car Elle vivait,                    dehors
    que j’y pense ou non
                j’avais tort
            de ne pas essayer
                    de modifier
le cours de son temps


Elle,
ma vie               

(aus: La vie en raccourcis, Clapas 2002)

Sie

 Sie trat ein

                              Unermesslich
Ich wollte ihr lieber nicht in die Augen sehen
Ich tat so als hätte ich sie nicht bemerkt
Sie ging vorbei ohne zu drängen
Sie ging hinaus

Ich wusste nicht was sie machte
In der Zeit da sie draußen war
Ich wollte es lieber nicht wissen
Da hatte ich unrecht

Denn Sie lebte
Draußen
Ob ich daran denke oder nicht
Ich hatte unrecht
Nicht zu versuchen
Ihren Lauf zu ändern


Sie
Die Zeit meines Lebens

(Um den Titel SIE zu bewahren, wird in der Übertragung aus "Sie, mein Leben" das dem Genus entsprechende "Sie, die Zeit meines Lebens".)

                                           

                     ANATOLE ET SON CHAT

Alors qu'il balayait et qu'il voyait aller et venir la brosse du balai et ses touffes noires à chaque bout, Anatole pensa à son chat maigre et noir: sa tête et le bout de sa queue faisaient deux touffes pareilles à celles du balai.

Et si c'était son chat?

Il se dit que peut-être, un jour de grande tristesse, il avait planté  un grand bâton dans le milieu de son chat pour en faire un balai.

Il sentit remonter le long du manche jusque dans ses mains le frottement contre le sol du dos maigre de son chat et il ne put continuer. Il remit doucement le balai à sa place et partit à la recherche de son chat. Mais il se souvint alors qu'il était mort l'année d'avant et qu'il l'avait enterré au fond du jardin.

Il rentra dans la maison et s'assit pour rêver.

 

                                                ANATOL UND SEIN KATZ

Anatol fegt mit einem Besen, und wie er die Bürste so hin und her fahren sieht, mit den schwarzen Büscheln an beiden Seiten, denkt er an seine magere schwarze Katze. Ihr Kopf und die Schwanzspitze bildeten zwei eben solche Haarbüschel.

Wenn das seine Katze wäre?

Er sagt sich, dass er vielleicht, eines sehr traurigen Tages, einen großen Stab mitten in seine Katze gesetzt und einen Besen aus ihr gemacht hat.

Er fühlt, wie die Reibung ihres mageren Rückens am Boden den Besenstiel empor bis in seine Hände steigt, und kann nicht weitermachen. Vorsichtig stellt er den Besen an seinen Platz und geht die Katze suchen. Doch da fällt ihm ein, dass sie vor einem Jahr gestorben ist und er sie hinten im Garten begraben hat.

Anatol geht zurück ins Haus und setzt sich nieder, um zu träumen.

 

(Anatol et son chat/ Anatol und sein Katz, Éditinter/Bilingue 2004, p. 24-25)

Le chat - der Katz. Le chat kann auch der Kater sein, als Bezeichnung der Tierart ist es deutsch die Katze. Die Übertragung als der Katz hat aber nichts mit dem unterschiedlichen Geschlecht des Artikels zu tun. Sie bezieht sich vielmehr auf die Funktion von le chat in Guys Text, dessen Titel der ganzen Sammlung den Namen gegeben hat - weil diese surreale Katze darin für etwas steht, was die Franzosen sonst gern mit einem anderen Tiernamen nennen: le cafard  (aus einem anderen Sprachbereich: the blues).

                                    CHASTETÉ DIVINE

 

      Les voies de dieu

      Sont impénétrables

(Phonèmes en folie, Interventions à haute voix 2008, p. 43)

 

                                 HIMMLISCHE KEUSCHHEIT

  Die Gänge Gottes

  Sind undurchdringlich

 (Sonst als Redensart etwa "Gottes Wege sind unerforschlich". Um den Sinn der Überschrift zu belassen, "Gang" für "Weg" und "undurchdringlich" für "unerforschlich".)

 

                                  JEUNE CADRE DYNAMIQUE

   Un vantard,

  Qui se vend tôt

(Phonèmes en folie, Interventions à haute voix 2008, p. 7)

                   

                                     DYNAMISCHER JUNGMANAGER

        Ein aufgeblasener Laffe

        Der sich früh verkauft

 (Das Wortspiel zwischen tard (spät) in "vantard" und tôt (früh) lässt sich so im Deutschen nicht wiedergeben, ebenso wenig das Klangspiel mit "vâtar" und "vâto".)

 

             ALLER - RETOUR

              Vivre: sortir du néant sans le savoir

              pour y retourner en le sachant

(Phonèmes en folie, Interventions à haute voix 2008, p. 6)

 

                                       HIN UND ZURÜCK

            Leben: aus dem Nichts kommen, ohne es zu wissen,

                  um wissentlich dorthin zurückzukehren